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Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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Vom Eise befreit sind Strom und Bäche...
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in raue Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes:
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behänd sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss, in Breit' und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein.
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!
(aus: Faust I, Vor dem Tor)
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Erich Mühsam (1878-1934)
Wollte nicht der Frühling kommen?
Wollte nicht der Frühling kommen?
War nicht schon die weiße Decke
von dem Rasenplatz genommen
gegenüber an der Ecke?
Nebenan die schwarze Linde
ließ sogar schon (sollt ich denken)
von besonntem Märzenwinde
kleine, grüne Knospen schwenken.
In die Herzen kam ein Hoffen,
in die Augen kam ein Flüstern -
und man ließ den Mantel offen,
und man blähte weit die Nüstern...
Ja, es waren schöne Tage.
Doch sie haben uns betrogen.
Frost und Sturm und Schnupfenplage
sind schon wieder eingezogen.
Zugeknöpft bis an den Kiefer
flieht der Mensch die Gottesfluren,
wo ein gelblichweißer, tiefer
Schnee versteckt die Frühlingsspuren.
Sturmwind pfeift um nackte Zweige,
und der Rasenplatz ist schlammig.
In mein Los ergeben neige
ich das Auge. Gottverdammich!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Emanuel Geibel (1815-1884)
Hoffnung
Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muss doch Frühling werden.
Und drängen die Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.
Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.
Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
Und möchte vor Lust vergehen.
Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren
Und lässt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.
Drum still! Und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden;
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.
Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll’ auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muss doch Frühling werden.
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Ludwig Uhland (1787-1862)
Frühlingsglaube
Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und wehen Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muss sich alles, alles wenden.
Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.
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Theodor Fontane (1819-1898)
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Frühling
Nun ist er endlich kommen doch
In grünem Knospenschuh;
»Er kam, er kam ja immer noch«,
Die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
Nun treiben sie Schuss auf Schuss;
Im Garten der alte Apfelbaum,
Er sträubt sich, aber er muss.
Wohl zögert auch das alte Herz
Und atmet noch nicht frei,
Es bangt und sorgt: »Es ist erst März,
Und März ist noch nicht Mai.«
O schüttle ab den schweren Traum
Und die lange Winterruh:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du.
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Joseph von Eichendorff (1788-1857)
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Frühlingsnacht
Übern Garten durch die Lüfte
Hört ich Wandervögel ziehn,
Das bedeutet Frühlingsdüfte,
Unten fängt's schon an zu blühn.
Jauchzen möcht ich, möchte weinen,
Ist mir's doch, als könnt's nicht sein!
Alte Wunder wieder scheinen
Mit dem Mondesglanz herein.
Und der Mond, die Sterne sagen's,
Und in Träumen rauscht's der Hain,
Und die Nachtigallen schlagen's:
Sie ist Deine, sie ist dein!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Ludwig Thoma (1867-1921)
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Frühlingsahnen
Wohlig merken unsre Sinne
Nun den Frühling allgemach,
Denn es trauft aus jeder Rinne,
Und es tropft von jedem Dach.
Leise regt sich im Theater
Dieser Welt ein Liebeston;
Nächtens schreien viele Kater,
Und der Hase rammelt schon.
So auch uns ergreift die Glieder
Wundersame Lebenskraft;
Selbst solide Seifensieder
Fühlen ihren Knospensaft.
Treibet das Geschäft der Paarung!
Lasset der Natur den Lauf!
Denn ihr wisset aus Erfahrung,
Einmal hört es leider auf.
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Eduard Mörike (1804-1875)
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Er ist's
Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
- Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
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Novalis (1772-1801)
Es färbte sich die Wiese grün
Es färbte sich die Wiese grün
Und um die Hecken sah ich blühn,
Tagtäglich sah ich neue Kräuter,
Mild war die Luft, der Himmel heiter.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
Und immer dunkler ward der Wald
Auch bunter Sänger Aufenthalt,
Es drang mir bald auf allen Wegen
Ihr Klang in süßem Duft entgegen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
Es quoll und trieb nun überall
Mit Leben, Farben, Duft und Schall,
Sie schienen gern sich zu vereinen,
Dass alles möchte lieblich scheinen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
So dacht ich: ist ein Geist erwacht,
Der alles so lebendig macht
Und der mit tausend schönen Waren
Und Blüten sich will offenbaren?
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
Vielleicht beginnt ein neues Reich -
Der lockre Staub wird zum Gesträuch
Der Baum nimmt tierische Gebärden
Das Tier soll gar zum Menschen werden.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
Wie ich so stand und bei mir sann,
Ein mächtger Trieb in mir begann.
Ein freundlich Mädchen kam gegangen
Und nahm mir jeden Sinn gefangen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
Sie ging vorbei, ich grüßte sie,
Sie dankte, das vergess ich nie -
Ich musste ihre Hand erfassen
Und sie schien gern sie mir zu lassen.
Ich wusste nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
Uns barg der Wald vor Sonnenschein.
Das ist der Frühling, fiel mir ein.
Kurzum, ich sah, dass jetzt auf Erden
Die Menschen sollten Götter werden.
Nun wusst ich wohl, wie mir geschah
Und wie das wurde, was ich sah.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)
Blühende Bäume
Was singt in mir zu dieser Stund
Und öffnet singend mir den Mund,
Wo alle Äste schweigen
Und sich zur Erde neigen?
Was drängt aus Herzensgrunde
Wie Hörnerschall zutag
Zu dieser stillen Stunde,
Wo alles träumen mag
Und träumend schweigen mag?
An Ästen, die sich neigen,
Und braun und dunkel schweigen,
Springt auf die weiße Blütenpracht
Und lacht und leuchtet durch die Nacht
Und bricht der Bäume Schweigen,
Dass sie sich rauschend neigen
Und rauschend ihre Blütenpracht
Dem dunklen Grase zeigen!
So dringt zu dieser stillen Stund
Aus dunklem, tiefem Erdengrund
Ein Leuchten und ein Leben
Und öffnet singend mir den Mund
Und macht die Bäum erbeben,
Dass sie in lichter Blütenpracht
Sich rauschend wiegen in der Nacht!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Angelus Silesius (1624-1677)
Die Psyche muntert sich mit dem Frühling zu einem neuen Leben auf
Der Frühling kommt heran,
Der holde Blumenmann,
Es geht schon Feld und Anger
Mit seiner Schönheit schwanger.
Der Blütenfeind, der Nord,
Steht auf und macht sich fort.
Das Turteltäubelein
Lasst hörn die Seufzerlein.
Die Lerch ist aus der Gruft
Und zieret Feld und Luft
Mit ihrem Direlieren,
Das sie so schön kann führen.
Die Künstlern Nachtigall
Lockt und zickt überall.
Die Vöglein jung und alt
Sind munter in dem Wald.
Die Sonne führet schon
Ihr'n freudenreichen Thron
Durch ihre güldnen Pferde
Viel näher zu der Erde.
Die Wälder ziehn sich an
Und stecken auf ihr Fahn.
Der Westwind küsst das Laub
Und reucht nach Blumenraub.
Das Wild lauft hin und her
Die Läng und auch die Quer.
Es tanzen alle Wälder,
Es hüpfen alle Felder.
Das liebe Wollenvieh,
Das weidet sich nun früh.
Die stumme Schuppenschar
Schwimmt wieder offenbar.
Die ganze Kreatur
Wird anderer Natur.
Die Erde wird verneuet,
Das Wasser wird erfreuet,
Die Luft ist lind und weich,
Warm, tau- und regenreich.
Der Himmel lacht uns an,
So schön er immer kann.
Drum kreuch auch meine Seel
Herfür aus deiner Höhl.
Lass deines Herzens Erden
Zu einem Frühling werden.
Zertritt Gefröst und Eis
Und werd ein grüner Reis.
Sei eine neue Welt
Und tugendvolles Feld.
Lass deine Seufzer gehn
Mit lieblichem Getön.
Lass hören dein Verlangen,
Den Bräutgam zu empfangen.
Sei eine Nachtigall,
Und lock mit Liebesschall
Der Himmel höchste Zier,
Den süßen Gott, zu dir.
Schwing dich behänd und fein,
Gleich wie ein Lerchelein,
Vom irdischen Getümmel
Und schwebe frei im Himmel.
Bereite dich mit Klang
Und stetem Lobgesang,
Den Schöpfer zu verehrn
Und seinen Ruhm zu mehrn.
Es fähret schon herein
Sein gnädger Sonnenschein.
Er lässt schon seine Strahlen
Dein ganzes Herz bemalen.
Sein Geist, der süße Wind,
Weht schon dich an, sein Kind.
Drum blüh in seiner Lieb
Und folge seinem Trieb.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Hugo Ball (1886-1927)
Frühling
So hast du in Behutsamkeit
Mit Lauben und mit Ranken
Den Garten meiner Nacht umsäumt
Jetzt lächeln die Gedanken.
Nun singen mir im Gitterwerk
Die süßen Nachtigallen
Und wo ich immer lauschen mag
Will mir ein Lied einfallen.
Die Sonne strahlt in deinem Blick
Und geht in meinem unter.
So schenkst du mir den schönen Tag
Ein mildes Sternenwunder.
So hast du meinen dunklen Traum
Durchleuchtet aller Enden
Und wo ich immer schreiten mag,
Begegne ich deinen Händen.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Fred Endrikat (1890-1942)
Frühling ist's
Frühling ist's! Die Hennen glucksen
Veilchen raus - und weiße Buxen.
Frauen schnüren sich geringer,
und der Bauer schiebt den Dünger.
Fliegen klettern unverdrossen
auf den Nasensommersprossen.
Ringsum blüht's an allen Hecken -
und es riecht aus den Ap'theken.
Ich steck mir voll Übermut
'nen Sonnenstrahl an meinen Hut.
Freudig jubeln und frohlocken
Kirchen-, Kuh- und Käseglocken.
Frühling wird's mit Vehemenz.
Auf grünen Filzpantoffeln naht der Lenz!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Frühlings Ankunft
Alle Vögel sind schon da,
Alle Vögel, alle!
Welch ein Singen, Musizirn,
Pfeifen, Zwitschern, Tirelirn,
Frühling will nun einmarschirn,
Kommt mit Sang und Schalle.
Wie sie alle lustig sind,
Flink und froh sich regen!
Amsel, Drossel, Fink und Star,
Und die ganze Vogelschar
Wünschet uns ein frohes Jahr,
Lauter Heil und Segen.
Was sie uns verkündet nun,
Nehmen wir zu Herzen:
Wir auch wollen lustig sein,
Lustig wie die Vögelein,
Hier und dort, feldaus, feldein
Singen, springen, scherzen!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Ernst Moritz Arndt (1769-1860)
Frühling im Alter
Singen die Vöglein im grünen Wald,
Klingen die Bächlein bergunter,
Lockt es den Alten mit Lustgewalt,
Klopfet das Herz ihm so munter:
Denket der Wonnen verschienener Lenze,
Denket der Kränze und denket der Tänze,
Fallen auch Tränen herunter.
Singet und klinget! das Heute ist mein,
Heut will ich singen und klingen
Lustig mit spielenden Kindern feldein,
Fröhlich mit fröhlichen Dingen,
Will mir bekränzen die Locken, die greisen:
Bald muss ich hinnen und wandern und reisen,
Wo mir die Vögel nicht singen.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~