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Matthias Jentzsch (geb. 1962)
Märzschnee
Flocken stieben um die Häuser,
windgetrieben Zug um Zug,
fall‘n als weiße Laken nieder.
Winter hat noch nicht genug.
Leute kratzen Frost von Scheiben,
rubbeln sich die Fäuste warm,
blicken fragend zum Kalender:
„Wann fängt nur der Frühling an?“
„Längst der März ist eingezogen“,
denkt sich jeder, der dort friert.
Doch Natur trägt weiße Mäntel,
Eis ist alles, was man spürt.
Seht nur hin mit etwas Mühe:
Zwischen allem Flockenfall
und mit spitzgereckten Ohren
sitzt der Lenz doch überall!
Denn der Frühling ist unmerklich,
auch wenn man ihn noch nicht sieht,
als verborg‘ner Gast zugegen,
wartet, dass der Winter flieht.
Setzt derweil auf kahle Äste
schwarze Amseln in der Früh.
Singen dann schon trotz der Kälte
seine warme Melodie.
In den Zweigen klopfen Knospen,
fordernd klingen sie im Ton.
Vater Frost und Mutter Kälte
haben aufgegeben schon.
Bringen sie nicht mehr zum Schlafen.
Jugend übersteigt den Sinn.
All das Frühlingsrebellieren
drängt mit Macht zum Neuen hin.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Fred Endrikat (1890-1942)
Frühling ist's
Frühling ist's! Die Hennen glucksen
Veilchen raus - und weiße Buxen.
Frauen schnüren sich geringer,
und der Bauer schiebt den Dünger.
Fliegen klettern unverdrossen
auf den Nasensommersprossen.
Ringsum blüht's an allen Hecken -
und es riecht aus den Ap'theken.
Ich steck mir voll Übermut
'nen Sonnenstrahl an meinen Hut.
Freudig jubeln und frohlocken
Kirchen-, Kuh- und Käseglocken.
Frühling wird's mit Vehemenz.
Auf grünen Filzpantoffeln naht der Lenz!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Ernst Blass (1890-1939)
Vorfrühling
Es sind schon wieder Mädchen in dem Park.
Hellblauer Himmel streicht gleich einer Hand
Über dein Angesicht. Die Luft hat Mark.
Nachmittag ist im schon beschenkten Land.
Die Vögel machen flatternden Radau.
Der Ärger, vormittags, war er so arg?
Du fühlst die Luft nahrhaft und schwingend stark –
Zuweilen nur ist sie ein bisschen rau.
Was man nicht konnt’ den ganzen Winter lang:
Im Freien sitzen, viel, auf einer Bank,
Das kann man wieder, o der Luft sei Dank.
Man kann die ganze Stadt hier übersehn.
Links ist der Sonne Abenduntergehn,
Rechts kühne Wolken, die nach Westen wehn.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Ernst Stadler (1883-1914)
Vorfrühling
In dieser Märznacht trat ich spät aus meinem Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch und grünem Saatregen.
Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung ging ich weit hinaus
Bis zu dem unbedeckten Wall und spürte: meinem Herzen schwoll ein neuer Takt entgegen.
In jedem Lufthauch war ein junges Werden ausgespannt.
Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blute rollten.
Schon dehnte sich bereitet Acker. In den Horizonten eingebrannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden, die ins Weite führen sollten.
Die Schleusen knirschten. Abenteuer brach aus allen Fernen.
Überm Kanal, den junge Ausfahrtwinde wellten, wuchsen helle Bahnen,
In deren Licht ich trieb. Schicksal stand wartend in umwehten Sternen.
In meinem Herzen lag ein Stürmen wie von aufgerollten Fahnen.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Ferdinand von Saar (1833-1906)
Wieder!
Wieder die ersten sonnigen Hauche,
Lockend hinaus vor die düstere Stadt;
Wieder am zitternden, treibenden Strauche
Die ersten Knospen, das erste Blatt.
Wieder auf leis' ergrünenden Hängen
Ersten Veilchens lieblicher Fund;
Wieder mit ersten Jubelgesängen
Hebt sich die Lerche vom scholligen Grund.
Werdenden Frühlings verkündende Zeichen,
Alte Genossen von Lust und Schmerz,
Ach, wie entzückt ihr, ihr ewig Gleichen,
Ewig auf's neue das Menschenherz!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Clara Müller-Jahnke (1816-1905)
Frühling am Meer
Nun braust vom Felsen
zum Meeresstrand
auf Wolkenschwingen
der Sturm durchs Land;
am Dünenhange
zerschmilzt der Schnee: –
in Frühlingsjubel
erbraust die See! –
Und sprosst kein Blättchen
aus Sand und Stein,
und lacht kein Veilchen
im Sonnenschein, –
Schaumkämme blitzen
wie Blütenschnee:
in Jubelhymnen
erbraust die See! –
Wie Gottes Odem
die Luft so rein!
Ich sauge den Frühling
ins Herz hinein:
da fließt vom Auge
zertauter Schnee; –
in Sturmakkorden
erbraust die See! –
Zu meinen Häupten
die Möwe zieht,
weit über die Wasser
erschallt mein Lied:
Verweht vom Sturme
des Winters Weh –
in Frühlingsjubeln
erbraust die See!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Stefan George (1868-1933)
Da waren trümmer nicht...
Da waren trümmer nicht noch scherben
Da war kein abgrund war kein grab
Da war kein sehnen war kein werben:
Wo eine stunde alles gab.
Von tausend blüten war ein quillen
Im purpurlicht der zauberei.
Des vogelsangs unbändig schrillen
Durchbrach des frühlings erster schrei.
Das war ein stürzen ohne zäume
Ein rasen das kein arm beengt –
Ein öffnen neuer duftiger räume
Ein rausch der alle sinne mengt.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Ludwig Uhland (1787-1862)
Frühlingsfeier
Süßer, goldner Frühlingstag!
Inniges Entzücken!
Wenn mir je ein Lied gelang,
Sollt es heut nicht glücken?
Doch warum in dieser Zeit
An die Arbeit treten?
Frühling ist ein hohes Fest:
Lasst mich ruhn und beten!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Theodor Fontane (1819-1898)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/theodor_fontane.php
Frühling
Nun ist er endlich kommen doch
In grünem Knospenschuh;
»Er kam, er kam ja immer noch«,
Die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
Nun treiben sie Schuss auf Schuss;
Im Garten der alte Apfelbaum,
Er sträubt sich, aber er muss.
Wohl zögert auch das alte Herz
Und atmet noch nicht frei,
Es bangt und sorgt: »Es ist erst März,
Und März ist noch nicht Mai.«
O schüttle ab den schweren Traum
Und die lange Winterruh:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Wilhelm Hertz (1835-1902)
Unter blühenden Bäumen...
Unter blühenden Bäumen
Lieg ich in Einsamkeit,
Von alter Zeit,
Von alter Liebe zu träumen.
Sehnsüchtige Stille ringsherum,
Nur Bienengesumm
Und fern im Tal ein Glockenklang:
Ob Hochzeitläuten,
Ob Grabgesang,
Ich wills nicht deuten.
Lenzwolken ziehn mit sanftem Flug.
O Jugendleben,
Das lang verblich,
O Frühlingsweben,
Was lockst du mich?
Goldsonnige Fernen lachen.
Neues Hoffen, neuer Trug!
Lenz, des Zaubers ist genug!
Nein, wieg mich ein
Zur süßen Ruh
Und decke du
Mein träumend Haupt mit Blüten zu!
Rosige Dämmrung hüllt mich ein:
O seliges Verschollensein,
Schlafen und nimmer erwachen!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Gustav Falke (1853-1916)
Auf Flügeln
Herz, erträgst du diese Freude,
Trägst du so viel Seligkeit?
Himmel, Erde: eine Sonne
Und ein Blühen weit und breit.
Wo die überglühten Wipfel
Baden hoch im Morgenhauch,
Wo die weißen Mauern winken,
Wohnt der schöne Frühling auch.
Jeder Schlag der raschen Pulse
Ruft das holde Ziel heran,
Und die Ferne wird zur Nähe,
Und die Liebe hats getan.
Durch den Garten, über Stiegen,
Wie auf Flügeln hebt es dich;
Schneller als die schnelle Schwalbe,
Höher schwingt die Liebe sich.
Himmelspforten, welch Willkommen!
Öffnen glänzend sich und groß,
Und der freche Vogel flattert
Einem Engel in den Schoß.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)
Blühende Bäume
Was singt in mir zu dieser Stund
Und öffnet singend mir den Mund,
Wo alle Äste schweigen
Und sich zur Erde neigen?
Was drängt aus Herzensgrunde
Wie Hörnerschall zutag
Zu dieser stillen Stunde,
Wo alles träumen mag
Und träumend schweigen mag?
An Ästen, die sich neigen,
Und braun und dunkel schweigen,
Springt auf die weiße Blütenpracht
Und lacht und leuchtet durch die Nacht
Und bricht der Bäume Schweigen,
Dass sie sich rauschend neigen
Und rauschend ihre Blütenpracht
Dem dunklen Grase zeigen!
So dringt zu dieser stillen Stund
Aus dunklem, tiefem Erdengrund
Ein Leuchten und ein Leben
Und öffnet singend mir den Mund
Und macht die Bäum erbeben,
Dass sie in lichter Blütenpracht
Sich rauschend wiegen in der Nacht!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Nikolaus Lenau (1802-1850)
An den Frühling 1838
Lieber Frühling, sage mir,
Denn du bist Prophet,
Ob man auf dem Wege hier
Einst zum Heile geht?
Mitten durch den grünen Hain,
Ungestümer Hast,
Frisst die Eisenbahn herein,
Dir ein schlimmer Gast.
Bäume fallen links und rechts,
Wo sie vorwärts bricht,
Deines blühenden Geschlechts
Schont die raue nicht.
Auch die Eiche wird gefällt,
Die den frommen Schild
Ihrem Feind entgegenhält,
Das Marienbild.
Küsse deinen letzten Kuss,
Frühling, süß und warm!
Eiche und Maria muss
Fort aus deinem Arm!
Pfeilgeschwind und schnurgerad,
Nimmt der Wagen bald
Blüt und Andacht unters Rad,
Sausend durch den Wald.
Lieber Lenz, ich frage dich,
Holt, wie er vertraut,
Hier der Mensch die Freiheit sich,
Die ersehnte Braut?
Lohnt ein schöner Freudenkranz
Deine Opfer einst,
Wenn du mit dem Sonnenglanz
Über Freie scheinst?
Oder ist dies Wort ein Wahn,
Und erjagen wir
Nur auf unsrer Sturmesbahn
Gold und Sinnengier?
Zieht der alte Fesselschmied
Jetzt von Land zu Land,
Hämmernd, schweißend Glied an Glied
Unser Eisenband?
Braust dem Zug dein Segen zu,
Wenns vorüberschnaubt?
Oder, Frühling, schüttelst du
Traurig einst dein Haupt?
Doch du lächelst freudenvoll
Auf das Werk des Beils,
Dass ich lieber glauben soll
An die Bahn des Heils.
Amselruf und Finkenschlag
Jubeln drein so laut,
Dass ich lieber hoffen mag
Die ersehnte Braut.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Johann Heinrich Voß (1751-1826)
Frühlingsliebe
Die Lerche sang, die Sonne schien,
Es färbte sich die Wiese grün,
Und braungeschwollne Keime
Verschönten Büsch' und Bäume:
Da pflückt' ich am bedornten See
Zum Strauß ihr, unter spätem Schnee,
Blau, rot und weißen Güldenklee.
Das Mägdlein nahm des Busens Zier,
Und nickte freundlich Dank dafür.
Nur einzeln grünten noch im Hain
Die Buchen und die jungen Mai'n;
Und Kresse wankt' in hellen
Umblümten Wiesenquellen:
Auf kühlem Moose, weich und prall,
Am Buchbaum, horchten wir dem Schall
Des Quelles und der Nachtigall.
Sie pflückte Moos, wo wir geruht,
Und kränzte sich den Schäferhut.
Wir gingen atmend, Arm in Arm,
Am Frühlingsabend, still und warm,
Im Schatten grüner Schlehen
Uns Veilchen zu erspähen:
Rot schien der Himmel und das Meer;
Mit einmal strahlte, groß und hehr,
Der liebe volle Mond daher.
Das Mägdlein stand und ging und stand,
Und drückte sprachlos mir die Hand.
Rotwangicht, leichtgekleidet saß
Sie neben mir auf Klee und Gras,
Wo ringsum helle Blüten
Der Apfelbäume glühten:
Ich schwieg; das Zittern meiner Hand,
Und mein betränter Blick gestand
Dem Mägdlein, was mein Herz empfand.
Sie schwieg, und aller Wonn' Erguss
Durchströmt' uns beid' im ersten Kuss.
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Wilhelm Müller (1794-1827)
Die Biene
Biene, dich könnt' ich beneiden,
Könnte Neid im Frühling wachsen,
Wenn ich dich versunken sehe,
Immer leiser leiser summend,
In dem rosenroten Kelche
Einer jungen Apfelblüte.
Als die Knospe wollte springen
Und verschämt es noch nicht wagte,
In die helle Welt zu schauen,
Jetzo kamst du hergeflogen
Und ersahest dir die Knospe;
Und noch eh' ein Strahl der Sonne
Und ein Flatterhauch des Zephyrs
Ihren Kelch berühren konnte,
Hingest du daran und sogest.
Sauge, sauge! – Schwer und müde
Fliegst du heim nach deiner Zelle:
Hast dein Tagewerk vollendet,
Hast gesorgt auch für den Winter!
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